Frauen in MINT-Berufen
Berufs- und Studienorientierung

Melanie Acosta

Frau Acosta, Sie haben Molekulare und Technische Medizin studiert und arbeiten jetzt in einem MINT-Beruf. Welchen Beruf üben Sie aus?

Ich bin Research Assistant in dem Forschungslabor für Rheumatologie an der Medizinischen Universität Wien (https://innere-med-3.meduniwien.ac.at/en/unsere-abteilungen/rheumatologie/research/group-of-michael-bonelli/group-members/).


Was genau macht man als Research Assistent in einer Forschungsgruppe für Rheumatologie? Können Sie uns typische Aufgaben beschreiben?

Das grundlegende Prinzip meines Berufes ist es, den PostDoc oder PhD StudentInnen in verschiedenen Projekten zu helfen, z.B. bei Vorbereitungen, Planungen und Durchführungen von Experimenten. Ich übernehme auch Routine Checks im Labor, wie z.B. die Überprüfung bestimmter Gene von Mäusen, ob diese so exprimiert werden, wie wir sie brauchen.
Außerhalb vom Labor kümmere ich mich noch um organisatorische Dinge wie Bestellungen und Meetings.

Welche Kompetenzen braucht man, um diese Tätigkeit auszuüben? Gibt es hierbei auch „typisch weibliche“ Fähigkeiten, die besonders wertvoll sind?

Die Grundvoraussetzung ist, glaube ich, die Fähigkeit logisch denken und naturwissenschaftliche Zusammenhänge verstehen zu können. Mindestens ein Bachelor Studium wie Biochemie, Biologie oder, wie ich es gemacht habe, „Molekulare & Technische Medizin“ sollte auf jeden Fall abgeschlossen sein. Ein Master ist auch wichtig, wenn man in die Forschung möchte und bringt meistens auch den Vorteil eines höheren Gehalts.
Um Eure zweite Frage zu beantworten, musste ich erstmal googlen um zu sehen, was denn „typisch weibliche Fähigkeiten“ sind. Nach einer Statistik von 2023 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/891/umfrage/eigenschaften-die-auf-frauen-zutreffen-aus-sicht-der-maenner/) würden Einfühlungsvermögen (weil man immer die Ansprechpartnerin für verschiedene Themen ist), Humor (es läuft so viel schief oder ungeplant in der Forschung, da sollte man sich & seine Pläne nicht allzu ernst nehmen) und Durchsetzungsvermögen (vor allem in wissenschaftlichen Diskussionen) einem in dem Beruf gut helfen.

Sie arbeiten in einer Forschungsgruppe, was bedeutet, dass Kommunikation untereinander und eine gute Teamfähigkeit von Vorteil sind. Was, finden Sie, sind wichtige Eigenschaften, welche man mitbringen sollte, wenn man die Arbeit in einem Team bevorzugt?

  • Teamfähigkeit und gute Kommunikation ist sogar ein Muss meines Erachtens
  • Flexibilität -> Oftmals läuft die Woche nicht so, wie man sie geplant hat, weil z.B. ein Experiment verschoben werden muss oder Meetings werden abgesagt. Es ist wichtig, davon nicht überrumpelt zu sein, sondern dann umzuplanen und andere Dinge zu erledigen.
  • Man sollte damit klarkommen, dass oftmals viele verschiedene Nationalitäten zusammenarbeiten und dadurch Arbeitsmoral, Arbeitssprache und Verhalten sehr unterschiedlich sein können
  • Durchhaltevermögen -> Die meisten Sachen funktionieren nicht beim ersten Versuch. Man muss immer wieder etwas verbessern, umstrukturieren und immer wieder neu versuchen. Zudem kann es auch sein, dass man bei Versuchstagen mal bis 19/20 Uhr im Labor ist.
  • Neugier -> Forschung ist kein 0815 Beruf, wo man montags seine To Do’s bekommt, die man abarbeiten muss. Oftmals muss man viel recherchieren, um überhaupt seine Forschungsfragen zu finden und dann auch die Methoden diese zu beantworten. Man sollte selbst von der Neugier angetrieben werden und auch Spaß an den „Puzzles“ in der Forschung haben.


War Ihnen von Anfang an klar, dass Sie im Bereich der Rheumatologie arbeiten möchten oder ist Ihnen dieser Gedanke erst gekommen, nachdem Sie Ihr Studium begonnen hatten?

Mir war schon während des Bachelor Studiums klar, dass ich in der Forschung arbeiten möchte und das in der Akademie, nicht in einer Firma. Der Bereich Rheumatologie hat sich ergeben, da ich nach meinem Master einen Job gesucht und hier gefunden habe.


Vielen Mädchen fehlen Vorbilder in MINT-Berufen – ein Grund für uns, dieses Thema in unserem Seminarkurs zu wählen und Frauen in MINT-Berufen zu interviewen. Gab es für Sie eine Person, die Sie inspiriert hat, in dieses Berufsfeld einzusteigen oder es überhaupt in Betracht zu ziehen? Oder gab es jemanden, der oder die Sie besonders ermutigt hat?

Ich erinnere mich an eine Professorin aus dem Bachelor Studium, die sehr ambitioniert und so von Ihren Forschungsbereich (small tissue cancer) begeistert war, dass es mich inspiriert hat. Meine Supervisorin in der Schweiz während meiner Bachelor Thesis ist auch eine krasse Powerfrau und eine geniale Forscherin, welche am meisten auch an meine Fähigkeiten geglaubt und mich motiviert hat weiter zu machen.
Diese Frauen habe ich aber nur kennengelernt, weil ich schon den Weg eines MINT-Studiums gegangen bin. Davor hatte ich keine Anhaltspunkte oder Menschen, die mich dazu inspiriert haben.

Haben Sie sich in der Kindheit schon für MINT-Themen interessiert? Wann haben Sie Ihr Interesse für diese Themen entdeckt?

Wenn ich mich richtig erinnere hat mich die Natur, einfach alles Biologische, schon immer fasziniert, besonders wenn es um Medizin ging. Dann wollte ich Ärztin werden, aber die Studieneingangskriterien und vieles mehr haben mich dazu gebracht, einen anderen Weg zu finden, wie ich Menschen weiterhelfen kann und so bin ich zu den Studiengängen gekommen, die ich studiert habe.


Welche MINT-Fächer hatten Sie in der Schule und wie wichtig waren diese für Ihren weiteren Lebensweg?

Besonders prägend war das Biotechnologische Gymnasium (https://www.hgs-calw.de/berufliche-gymnasien.html) für mich, welches ich nach der Realschule besucht hatte. Hier lernten hatten wir das Profilfach Biotechnologie und andere Fächer wie Chemie, Biochemie, Sondergebiete der Biowissenschaften, Stoffwechselphysiologie und vieles mehr. Unsere Lehrer waren sehr ambitioniert und manche Kurse im Bachelor Studium konnte ich mir deshalb sogar anrechnen lassen.


In unserer Schule zeigt sich, außer in Biologie, ein deutlicher Jungsüberschuss in den MINT-Fächern, auch in den Leistungskursen – und dass, obwohl wir ein MINT-orientiertes Gymnasium sind. Wie war das bei Ihnen damals?

Das ist interessant, da es bei mir das Gegenteil war. Im Gymnasium, Bachelor- und Masterstudium hatten wir immer mehr Mädchen/Frauenanteil als Jungs.


Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass so wenige Mädchen sich für den MINT-Weg entscheiden?

Ich schätze, dass viel an der grundlegenden Erziehung liegt und welche Eigenschaften Ihnen schon in der Kindheit zugesprochen werden, z.B. Jungs sind stark & mutig / Mädchen sind süß & spielen nur mit Puppen statt im Matsch. Dann vielleicht auch noch das Mathe, Physik und Chemie eher Jungs und Mädchen mehr soziale Fächer/Berufe zugesprochen werden. Vielleicht denken auch Mädchen schlichtweg nicht daran, andere Berufe als die „typisch weiblichen“ Berufe zu machen und haben Angst, aus diesem Muster auszubrechen.
Ich glaube / hoffe doch, dass sich dies langsam ändert, da viele in meiner Generation schon anders ticken & demnach auch die Kinder (wenn man welche bekommen mag) anders erziehen werden.

Was kann aus Ihrer Sicht getan werden, um mehr Mädchen dazu zu bewegen, sich für MINT-Fächer zu interessieren? Welche Rolle spielen die Lehrkräfte dabei?

Zur ersten Teilfrage: Praxis und Kontakt mit Leuten, die schon in der Berufswelt sind, einladen und interviewen. Zudem gibt es auch (zumindest in Wien) „Mit-mach Labs“, in denen Schulklassen verschiedene Experimente zu verschiedenen Themen durchführen können. Dadurch könnte evtl. Interesse und Neugier für Labs/Naturwissenschaften entdeckt werden. Denn nur Frontalunterricht hinterlässt oftmals keinen bleibenden Eindruck.
Zur zweiten Teilfrage: Lehrkräfte spielen eine sehr wichtige Rolle, denn sie sollten einem Geschlecht nicht bestimmte Eigenschaften zuschreiben, wie z.B. Jungs sind gut in Mathe & Mädchen haben eine schöne Schrift. Zudem sollte meiner Meinung nach auch schon in weiterführenden Schulen verschiedene Berufswege aufgezeigt und klargemacht werden, dass kein Beruf geschlechts-/genderbezogen ist.

Wie ging es nach Ihrer Schulzeit weiter? Wann und wie haben Sie das Molekulare und Technische Medizin Studium für sich entdeckt?

Nach meinem Abitur habe ich mich erstmals für knapp ein Jahr in Cebu City, Philippinen, ehrenamtlich engagiert. Ich wollte nicht direkt mit der nächsten Schule/mit dem nächsten Studium weitermachen und ich glaube, so etwas sollte (wenn möglich) jede Person erleben können. Zudem gibt es einem auch etwas Zeit zu reflektieren, was man wirklich will.
Ich habe einfach nach Studiengängen gesucht, die irgendetwas mit Medizin oder mit der Heilung von Krankheiten zu tun haben und in die ich ohne ewige Wartezeit durch zu hohen NC reinkomme.

Ich persönlich habe seit der 11. Klasse keine Physik und Chemie mehr. Waren diese beiden Fächer großer Bestandteil Ihres Studiums und hätte ich eine Chance die Lerninhalte nachzuholen?

Physik und Chemie werden immer irgendwie in MINT-Berufen einen Aspekt spielen, wie viel ist jedoch abhängig davon, in welchen Studium/Beruf man später ist.
Keine Angst vor möglichen Nachteilen, weil man bestimmte Fächer länger nicht hatte. In Bachelor Studiengängen sind grundsätzlich das erste oder die ersten beiden Semester dazu da, dasselbe Grundwissen für alle Studierenden zu schaffen. Es gibt meistens auch zusätzliche Kurse, in denen man Mathe oder Physik wiederholen kann.
Mein persönlicher Tipp: einfach ausprobieren (: Niemand muss perfekt sein und alles schon können. Die Unis/FHs sind ja dazu da, uns Wissen zu vermitteln.

In vielen MINT-Studiengängen ist eine große Anzahl der Studierenden männlich. Wie haben Sie das in Ihrem Studiengang wahrgenommen?

Bei mir waren es immer mehr Frauen als Männer. Ich glaube, es gibt immer noch mehr Männer in Engineering Studiengängen oder Medizintechnik.


Welche Praktika oder Jobs haben Sie im Studium weitergebracht?

Wirklich jedes! Ich hatte verschiedene Praktika/Arbeitsstellen für meine Laufbahn in der Wissenschaft:

  • 2 Wochen in einer Arztpraxis
  • 2 Wochen im Röntgen im Krankenhaus
  • 6 Monate Praxissemester in Leipzig bei einer Forschungsgruppe, welches sich auf Leberregeneration fokussiert
  • 6 Monate in der Schweiz Bachelor Arbeit (weiß nicht, ob das zu Praktika zählen würde aber es war auf jeden Fall Vollzeit Arbeit)
  • 2 Jahre in einer Forschungsgruppe für Knorpelregeneration usw.

Alles bringt einen weiter um herauszufinden, was man will oder eben nicht. In meinem Beruf ist es auch sehr wichtig, verschiedene Methoden im Labor zu kennen.
Also je mehr Praxiserfahrung umso besser!

Wie viele Frauen und wie viele Männer arbeiten in Ihrer Forschungsgruppe oder generell in Ihrem Fachgebiet (Sie müssen keinen exakten Wert angeben)? Gibt es einen deutlich erkennbaren Unterschied?

Wir sind in meinem Team nur Frauen, bis auf unsere Chefs (es gibt eine weibliche PI (Principal Investigator)) und einen Bachelor Studenten. Das findet man oft in Forschungsgruppen, da viele Frauen nicht die Karriereleiter bis ganz oben klettern (aus verschiedenen Gründen). In der Forschung hat man oft nur kurze Verträge, welche an Grant oder Projekte gebunden sind, was nur kurz Sicherheit gibt. Der Konkurrenzkampf und die unregelmäßigen Arbeitszeiten (manchmal 10/12 h Tage oder an Wochenenden und feiertags arbeiten) sind nicht für jeden etwas.


Was würden Sie Frauen und Mädchen, die dieses Interview lesen, mit auf den Weg geben?

Bitte denkt nicht, dass ihr Dinge nicht könnt nur, weil ihr Mädchen/Frauen seid! Wir sind talentiert, begabt und oftmals widerstandfähiger als die Jungs/Männer. Traut euch, über euren Schatten zu springen und euren Zielen hinterher zu jagen. Kein Studium/Beruf ist an ein Geschlecht/Gender gebunden! Wenn ihr einen Willen habt, dann gibt es auch einen Weg!


Wir bedanken uns ganz herzlich für dieses Gespräch, Frau Acosta!

Ich danke euch! (: