Frauen in MINT-Berufen
Berufs- und Studienorientierung


Simone Greve


Frau Greve, Sie haben einen sehr spannenden Beruf: Sie sind Pilotin bei einer großen Fluglinie. Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?

Ich habe 16 Jahre lang bei Air Berlin gearbeitet. Nachdem Air Berlin in die Insolvenz gegangen ist, bin ich zu Easy Jet gegangen. Wie bin ich dazu gekommen? Das war familiär bedingt: Mein Vater hat bei der Lufthansa gearbeitet, nicht im Cockpit, aber er war Ingenieur. Er hat mich in meiner Kindheit ganz oft in die Flugzeughallen mitgenommen. Dort konnte ich dann in die leeren Flugzeuge gehen und zuschauen, wie Flugzeuge repariert wurden. Außerdem sind wir früher sehr viel gereist. Damals war es so, dass man während des Fluges noch ins Cockpit gehen und dem Piloten Fragen stellen konnte. Unsere ganze Familie hat etwas mit Fliegerei zu tun, in unterschiedlichsten Ausprägungen, und ich denke, der Auslöser war, dass ich dadurch schon immer viel Kontakt mit Flugzeugen hatte.
Tatsächlich habe ich meinem Vater dann mit 17 offenbart, dass ich die Fliegerei toll finde und dass ich mir vorstellen könnte, diesen Beruf zu ergreifen. Zu diesem Zeitpunkt war gerade der Golfkrieg, und es war sehr schwierig, eine Ausbildung zur Pilotin zu machen. Deshalb habe ich erstmal eine andere Ausbildung gemacht. Aber als ich diese Ausbildung abgeschlossen hatte, habe ich einen weiteren Versuch gestartet. Ich hatte das meinen Eltern zunächst gar nicht mitgeteilt, sondern habe es einfach gemacht.
Und es gab auch einen bestimmten auslösenden Moment, da bin ich privat geflogen und saß in Frankfurt am Flughafen. Damals war ich so alt wie ihr und es gab es bei Lufthansa vielleicht fünf Frauen im Cockpit, d.h. nicht wirklich viele - das waren wirklich Pionierinnen! Es rollte ein Flugzeug rein und auf der rechten Seite, also da, wo der Copilot sitzt, sah ich eine Frau: Ohrringe, lange Haare - ganz sicher kein Mann. Und da habe ich das erste Mal gedacht: „Aha, das geht also doch, das kann man auch machen!“ So kam ich dazu.

Der Beruf der Pilotin unterscheidet sich in vielen Aspekten von anderen Berufen, z.B. in den Arbeitszeiten. Können Sie uns hierzu mehr erzählen? Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag oder Ihre typische Arbeitswoche aus?

Ich habe zwei Kinder und arbeite in Teilzeit (72%). Bei jeder Airline ist das anders geregelt, aber bei mir ist es so, dass ich sieben Tage Dienst habe und dann sieben Tage frei, dann wieder sieben Tage Dienst usw. Das ist bis zur Rente durchgeplant, immer von Dienstag zu Dienstag. Für mich ist dies gut planbar, weil ich mir bis zur Rente ausrechnen kann, wann meine sieben Arbeitstage und wann meine sieben freien Tage sind. Man kann sich bei unserer Firma auch wünschen, ob man lieber im Frühdienst oder lieber im Spätdienst arbeiten möchte. Ich persönlich habe mich für den Frühdienst entschieden, damit ich dann arbeite, wenn meine Kinder in der Schule und im Kindergarten sind und ich sie nachmittags sehen kann. Sonst würde ich sie an meinen sieben Arbeitstagen gar nicht zu Gesicht bekommen.
Frühdienst bedeutet aber auch, dass ich mitten in der Nacht aufstehen muss: Wir reden hier von 3:30 oder 4:00 Uhr. Das ist eigentlich gefühlt VOR dem Aufstehen und natürlich hart, weil ich abends sehr konsequent früh ins Bett gehen muss, um auf meinen Schlaf zu kommen. Spätestens ab dem zweiten oder dritten Tag merkt man sonst deutlich, dass man müde ist. Da fällt es auch gar nicht schwer, abends um 19.00 Uhr mit den Kindern schlafen zu gehen. Zusätzlich sind es auch immer relativ lange Tage (12 bis 14 Stunden/Tag) und oft sind diese auch nicht richtig planbar – wegen Slots, Verspätungen aufgrund von Wetter oder eines technischen Defekts. Meistens kann ich nicht im Vorfeld sagen, wann genau ich zuhause sein werde.

Welche Kompetenzen braucht man, um Pilotin zu sein? Gibt es bei diesem Beruf auch „typisch weibliche“ Fähigkeiten, die besonders wertvoll sind?

Das ist eine gute Frage! Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass man ein „dickes Fell“ hat. Man muss extrem kritikfähig sein, muss seine Schwächen kennen und diese dann möglichst ausräumen. In der Fliegerei ist es relativ einfach: Es gibt keine Grauzone, sondern nur „richtig“ oder „falsch“. Das macht Vieles einfacher. Wir haben Manuals, in denen genau beschrieben ist, wie und in welcher Reihenfolge die Vorgänge ablaufen müssen.
Man muss sehr stressresistent sein und braucht eine hohe Resilienz. Außerdem ist es wichtig selbstbewusst zu sein. Wenn man nicht an seine eigenen Fähigkeiten glaubt und eine herausfordernde Situation erlebt, dann wird es schwierig, d.h. man sollte immer davon überzeugt sein, dass man eine Situation auch sicher meistern wird.
Teamfähigkeit ist auch unabdingbar, denn man sitzt mit dem Kollegen auf engstem Raum und man sollte deshalb in jeder Situation gut miteinander klarkommen, d.h. man muss sich respektieren und zusammen Entscheidungen fällen. Hinzu kommt, dass ja hinten in der Kabine auch noch vier Flugbegleiterinnen dabei sind. Deshalb ist es wichtig, dass man eine gute Kommunikation und eine ausgeprägte Teamfähigkeit hat.
Was natürlich auch immens wichtig ist: Kompetenz in seinem Beruf. Halbwissen als Pilot ist sehr schlecht, sonst wird man auch von den Kollegen nicht ernst genommen. Auch Führungskompetenz ist sehr relevant, denn im Falle eines Falles ist man immer der Problemlöser. Gerade als Kapitän wird von einem erwartet, dass man souverän bleibt und das Flugzeug dann sicher landen kann.
Stressresilienz ist auch deshalb wichtig, weil man als Pilot ein Leben lang getestet wird. Es gibt zwei Mal im Jahr Prüfungssituationen in Simulatoren. Das ist für jeden Piloten sehr anspruchsvoll, weil man die Prüfung, wenn man sie nicht besteht, nur noch einmal wiederholen kann und ansonsten seine Lizenz verliert. Es gibt auch mehrfach im Jahr Theorietests und Linechecks während des Fluges. Außerdem werden Piloten während des Fluges durch ein sogenanntes Flight Data Monitoring System überprüft: Alles, was ich im Cockpit sage, alles, was über Funk gesprochen wird und jeder Knopf, den ich anfasse, wird aufgezeichnet und direkt zur Firma geschickt. Jede Abweichung, die im Cockpit passiert, wird direkt zur Airline geschickt.  Das dient der Sicherheit und ist deshalb sehr wichtig.

Wann wurde Ihnen persönlich klar, dass Sie Pilotin werden möchten?

Das erste Mal mit siebzehn, das war ein schlechter Zeitpunkt. Und das zweite Mal mit 25, da habe ich dann meine Pilotenausbildung angefangen.


Das heißt, Sie haben eine Ausbildung als Pilotin gemacht und kein Studium?

Man muss ganz klar sagen: Es ist kein Studium. Es ist lediglich eine Ausbildung an einer Flugschule.


Die Ausbildung muss man auch immer privat bezahlen, oder?

Ja, die muss man mittlerweile nur noch privat bezahlen. Früher war es so, dass die Lufthansa - je nach Bedarf an Piloten - mal die Hälfte übernommen hat oder einen günstigen Kredit gegeben hat, aber unterm Strich hat man das immer selbst bezahlt.


Da sind wir dann auch schon beim nächsten Thema: Gab es Hürden für Sie, diesen Weg zu beschreiten?

Ja, denn das muss man erstmal finanzieren. Die Ausbildung zur Pilotin ist teuer, es handelt sich um eine Summe von etwa 120.000 Euro innerhalb von zwei Jahren.
Dazu kommt folgendes: Wenn man die Pilotenausbildung erfolgreich abgeschlossen hat, besitzt man zwar eine Pilotenlizenz des Verkehrsflugzeugführers, hat aber im Prinzip noch keine Garantie auf einen Job. Man ist nur kleine Flugzeuge geflogen und hat noch kaum Stunden gesammelt - und so bewirbt man sich bei den Airlines. Dort gibt es ein mehrstufiges Assessment: Man muss psychologische Tests bestehen, Konzentrationstests und Wissenstests und am Ende geht man noch in einen Simulator. Dieser ist wie ein echtes Cockpit bzw. wird dem normalen Cockpit nachempfunden.
Die Finanzierung ist die größte Hürde, aber man muss auch charakterlich und körperlich geeignet sein. Farbenblindheit ist beispielsweise ein Ausschlusskriterium.

Dann haben Sie also als Co-Pilotin angefangen?

Ja, ich habe neun Jahre lang als Co-Pilotin gearbeitet, und dann bin ich Kapitän geworden. Das war nochmal eine firmeninterne Extra-Ausbildung, die ca. ein halbes Jahr dauerte. Man durchläuft hierbei viele Prüfungen, bis man mit dem Abschluss der Ausbildung als Kommandant, als Kapitän, fliegen darf.


Was genau fasziniert Sie an diesem Beruf? Warum sollten sich junge Frauen Ihrer Meinung nach für den Beruf der Pilotin entscheiden?

Es ist eine große Herausforderung, besonders als Frau. Was ich schön finde ist die Teamarbeit. Das Team wird jeden Tag neu zusammengestellt, ich fliege selten mit den gleichen Kollegen. Man muss sich folglich immer auf neue Leute und neue Situationen einstellen. Wenn ich morgens zur Arbeit komme, weiß ich nicht, was mich erwartet. Natürlich weiß ich, wie das Wetter vor Ort ist und wie in meiner Destination. Gibt es Verspätungen, hat das Flugzeug einen technischen Defekt, gibt es irgendein Problem mit den Passagieren? Ich sehe mich jeden Tag vor neuen Herausforderungen und mein Job ist es, diese Probleme zu lösen. Das finde ich am Beruf der Pilotin sehr spannend, und es wird nicht langweilig.
Darüber hinaus ist der Verdienst sehr gut und mit der Betriebszugehörigkeit steigt auch das Gehalt. Und was die meisten nicht vermuten: Der Beruf ist extrem familienfreundlich, denn wenn man z.B. als Pilotin schwanger ist, darf man ab dem Tag der Feststellung der Schwangerschaft nicht mehr fliegen. Die Firma ist außerdem verpflichtet, mich in meiner Position als Kapitänin wieder einzustellen. Das ganze Training zur Wiedereingliederung wird bezahlt. Ich musste mir um meinen Job nach den Schwangerschaften nie Gedanken machen, das ist extrem gut.
Und natürlich hat der Beruf des Piloten auch eine gewisse soziale Anerkennung in der Gesellschaft. Man muss sich auch nicht so sehr erklären, denn es ist jedem klar, was ein Pilot macht.

Laut „International Society of Women Airline Pilots“ gab es im Jahre 2022 in Deutschland in Ihrem Beruf einen Frauenanteil von nur 6,9 %. In Indien sind es immerhin 12,4 % Frauen.  Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass so wenige Mädchen sich für diesen Weg entscheiden?

Die Gründe sind vielschichtig. Vielleicht, weil sie denken, der Job sei nicht familienfreundlich und viele Frauen trauen sich diesen Beruf nicht zu und haben eventuell kein Interesse an den technischen Themen. Wir waren auf der Flugschule nur zwei Mädchen im Kurs und auch in meiner weiteren Laufbahn gab es wenig Frauen. Co-Pilotinnen gibt es mittlerweile schon deutlich mehr, aber Kapitäninnen gibt es bei Easy Jet in Berlin nur zwei von ein paar hundert Männern. Wir sind schon nach wie vor sehr selten. Vielleicht trauen sich die Frauen auch nicht zu, in einer Männerdomäne zu arbeiten, denn tatsächlich braucht man da ein dickes Fell.


Die Herausforderung für die Luftfahrtindustrie besteht darin, dass es so gut wie keine Vorbilder für Pilotinnen gibt. Sie tauchen weder im Kino noch im Fernsehen auf, und auch in der Werbung oder in Zeitschriften sind sie selten vertreten, da in der Populärkultur eher traditionell männliche Geschlechterrollen dargestellt werden.  Was kann aus Ihrer Sicht getan werden, um mehr Frauen zu ermutigen, diesen Weg einzuschlagen?

Easy Jet ist ein Paradebeispiel für gute Ideen. Easy Jet hatte vor einigen Jahren eine weibliche CEO, die eine Initiative ins Leben gerufen hat: die „Amy Johnson-Initiative“. Amy Johnson war die berühmteste Pilotin, geboren 1903. Sie war die erste Frau, die einen Flug alleine unternommen hat, von England nach Australien.
Easy Jet hatte sich damals zum Ziel gesetzt, bis 2021 einen Frauenanteil von 20% im Cockpit zu erreichen – und dann kam Corona. Das Ziel wurde leider nicht erreicht, aber Easy Jet war zumindest bemüht und hat Frauen ermutigt, diesen Beruf zu ergreifen. Easy Jet hat Pilotinnen in Schulen geschickt, um Mädchen zu überzeugen und den Beruf für Mädchen interessant zu machen.
Aber es stimmt, es gibt zu wenig Beispiele und wenig Vorbilder. Es gibt aber mittlerweile immerhin eine Barbiepuppe als Pilotin!

Wie ist es für Sie, als Frau in einem männerdominierten Beruf zu arbeiten?

Sehr interessant! Als Co-Pilotin war es anders für mich, weil ich noch nicht viel Erfahrung hatte und ausschließlich mit Männern geflogen bin, die teilweise auch Frauen im Cockpit kritisch gesehen haben. Seit ich Kapitänin bin, fliege ich mit jungen, gut ausgebildeten Co-Piloten.
Es ist tatsächlich auch bis heute so, dass die Passagiere immer noch verwundert sind. Ich sitze ja als Kapitänin auf der linken Seite und der Co-Pilot sitzt immer rechts - die Passagiere können mich also beim Einsteigen auf der linken Seite des Flugzeuges immer gut im Fenster sehen. Und dann ist es manchmal ein bisschen wie im Zoo: Die Leute gucken rein und ich kann richtig sehen, was sie denken: „Hä? Sitzt da jetzt die Flugbegleiterin? Fliegt die uns jetzt?“
Eines Tages habe ich mir einen Spaß erlaubt: Ich hatte ein I-Pad, da stand hinten drauf: „Oh, ne Frau!“ – und das habe ich dann in mein Fenster gestellt. Viele Leute haben gelacht, weil sie sich ertappt gefühlt haben, da sie wirklich in Frage gestellt hatten, dass eine Frau fliegt! Und besonders hart ist es für manche Männer, wenn ZWEI FRAUEN das Flugzeug fliegen. Dann gucken die sich erstmal um: „Oh Shit, es ist auch kein Flugbegleiter an Bord! Wer soll uns jetzt retten, wenn die zwei Frauen das da vorne nicht auf die Reihe kriegen?“ Es war für uns immer ein besonders großer Spaß zu betonen, dass sie heute von zwei Damen geflogen werden mit vier Flugbegleiterinnen.
Es ist aber auch nie jemand ausgestiegen! Beim Aussteigen kam nur öfters der Satz: „War doch ganz schön!“ Man erlebt die lustigsten Sachen.

Gehen wir nochmal zurück zu Ihrer Schulzeit. Welches war Ihr Lieblingsfach in der Schule? Hatte dieses schon etwas mit Luft- und Raumfahrt zu tun?

Ich hatte Leistungskurs Kunst und Bio. Es ist wahrscheinlich relativ egal, was Du in der Schule gemacht hast. Man muss sich, wenn man sich entscheidet, diesen Beruf zu ergreifen, einfach drauf einlassen. Und es ist jetzt auch kein Hochschulstudium Mathe oder Physik, denn Fakt ist: Wir sollen das Flugzeug fliegen, wir sollen es nicht bauen.


Wie ging es nach Ihrer Schulzeit weiter? Wie genau wird man Pilotin? Sicher war die Ausbildung sehr facettenreich, aber auch sehr anspruchsvoll. Bitte erzählen Sie uns davon.

Man macht erst die PPL (Privatpilotenlizenz), das ist der Pilotenschein für ein kleines Flugzeug. Die Ausbildung hierzu beinhaltet die Theorie und einige Flugstunden in einer einmotorigen Propellermaschine, bis der Fluglehrer sagt: „Ich steig jetzt aus, Du fliegst heute das erste Mal alleine.“ Da kommen wir wieder zu dem Thema Selbstbewusstsein: Man muss sicher sein, dass man das auch alleine schafft, denn es hängt das eigene Leben dran. Man wächst aber auch an seinen Aufgaben, weil man danach auch Flüge alleine absolvieren muss.
Es gibt noch einen Dreiecksflug, den man alleine absolvieren muss. Es handelt sich hierbei um eine Sichtflugausbildung, d.h. man fliegt die ganze Zeit nach Sicht, hat eine Riesenkarte im Flugzeug und vorher Berechnungen durchgeführt, um den Dreiecksflug akkurat zu absolvieren. GPS-Navigation ist verboten. Man fliegt also nur nach einer Karte, mit Windberechnung und Zeit stoppen kommt man sicher ans Ziel an.
Dann kommt wieder ein Theorieteil, da geht es um das Fliegen mit Instrumenten, d.h. theoretisch könnte jemand die Scheibe zukleben und wir gucken nur noch auf die Instrumente, die wir im Cockpit haben und fliegen das Flugzeug so.
Am Ende der Ausbildung gibt es die große Theorieprüfung beim Luftfahrtbundesamt in dreizehn Fächern: Fächer wie Meteorologie, Allgemeine Navigation, Flugzeugkunde, Aerodynamik, Mechanik etc. Dafür muss man relativ lange lernen. Nach vielen Flugstunden, ca. nach 2,5 Jahren, hat man dann seinen Pilotenschein als Verkehrsflugzeugführer, der nennt sich ATPL. Mit diesem Zertifikat bewirbt man sich dann bei großen Airlines.

Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um ein Flugzeug steuern zu dürfen?

Man braucht zunächst einmal die richtige Lizenz. Wenn man dann bei einer Airline ist, steigt man nicht direkt in ein großes Flugzeug ein, sondern muss ein sogenanntes „Type-Rating“ durchführen, d.h. eine Musterberechtigung auf diesem speziellen Flugzeugmuster. Bei Air Berlin bin ich z.B. eine Boeing 737 geflogen, ausgelegt für knapp 200 Menschen. Als ich bei Air Berlin meine Kapitänsausbildung gemacht habe, habe ich gleichzeitig auch das Flugzeugmuster gewechselt, d.h. ich durfte keine Boeing mehr fliegen, sondern nur noch den Airbus, da passen ca. 215 Passagiere rein. Man darf also nicht beides machen, weil die Flugzeuge total unterschiedlich sind -  sie haben zwar beide zwei Flügel und zwei Triebwerke, aber die Boing hat ein Steuerhorn, beim Airbus hat man einen Joystick. Das macht einen großen Unterschied, denn es ist ein ganz anderes Konzept. Wenn man alles absolviert hat, wird in die Lizenz eingetragen, dass man diese Flugzeugmuster entweder als Co-Pilot oder als Kapitän fliegen darf.


Heutzutage fliegt ein Flugzeug durch den Autopiloten fast von selbst, oder? Ist das nicht langweilig?

Ja! 95% des Fluges werden vom Autopiloten übernommen. Was das Flugzeug nicht kann: Das Flugzeug kann nicht automatisch starten. Das Flugzeug kann allerdings automatisch landen. Das wird nur dann gemacht, wenn wir Nebel haben.
Wenn der Pilot nichts mehr sehen kann, wird er eine automatische Landung machen. Das kommt aber sehr selten vor. Für uns Piloten ist so eine automatische Landung sehr anspruchsvoll, weil man einen tatsächlichen Blindflug hat: Man sieht nicht die Hand vor Augen und hat keine Entscheidungshöhe. Wir haben als Piloten eine sog. „Entscheidungshöhe“: Wenn wir in der Höhe 200/300 Fuß, d.h. 100 Meter sind, und nicht die Landebahn sehen, dann müssen wir durchstarten. Wir müssen einen erneuten Anflug versuchen und zu unserem Alternate (Ausweichflughafen) hinfliegen. Bei Nebel gibt es keine Entscheidungshöhe, d.h. ich sitze im Cockpit und vertraue darauf, dass meine Technik zu 100% funktioniert und ich sicher auf der Landebahn aufsetzte.
Das heißt: der Start ist von Hand und in sicherer Flughöhe schalten wir den Autopiloten an. Das machen wir, damit wir uns auf andere Dinge konzentrieren können, denn es sind sehr viele Abläufe notwendig. Gerade bei Start und Landung haben wir die meiste Arbeit, der Autopilot arbeitet dann bis kurz vor der Landung.

Als Pilotin haben Sie eine große Verantwortung für viele Menschenleben. Wie ist es für Sie, mit dieser Verantwortung umzugehen?

Ich bin mir dessen bewusst, dass ich diese Verantwortung habe, aber ich denke nicht die ganze Zeit daran. Die Fliegerei ist das sicherste Verkehrsmittel der Welt. Hinter der Cockpittür ist für mich sozusagen Schluss, ich denke nur nach vorne und konzentriere mich auf das, was ich tun muss.


Zurück zum Thema Familie: Wie regeln Sie ganz praktisch Ihren Alltag? Die Kinder jeden Nachmittag pünktlich von der Kita abzuholen, dürfte schwierig sein. Wie meistern Sie diese Herausforderung?

Ich arbeite ja im Frühdienst, deshalb bin ich einigermaßen früh wieder zuhause. Es gibt aber leider nicht so kurze Flüge, dass ich morgens mein Kind zum Kindergarten bringen könnte, schnell zum Flughafen fahre, schnell von Berlin nach Paris fliege und zurück von Paris nach Berlin und dann wieder zurück in die Kita. Wir fliegen nicht hin und zurück, sondern wir fliegen z.B. von Berlin nach Paris, Paris Berlin, Berlin Kopenhagen, Kopenhagen Berlin – wir fliegen immer vier Teilstrecken, und das passt nicht in eine normale Kindergartenzeit rein.
Aber meine Zeit ist sehr gut planbar, weil ich ja meinen Dienstplan immer einen Monat im Voraus bekomme bzw. immer diese 7/7 Arbeitszeit habe, da kann ich bis zur Rente durchplanen. Das ist top! Mit meinen sieben freien Tagen kann ich auch richtig was anfangen. Das ist jedes Mal wie ein kurzer Urlaub und ich habe genug Zeit, mich zu erholen – denn die sieben Tage Arbeiten schlauchen schon, es ist eine anstrengende Tätigkeit. Da ich einen Mann habe, der auch viel unterwegs ist, haben wir außerdem ein Au-Pair.

Zu guter Letzt würden wir gerne von Ihnen wissen, was Sie Mädchen, die dieses Interview lesen, mit auf den Weg geben würden.

Wenn Ihr Euch vorstellen könnt, Pilotin zu werden und wenn es Euer Traum ist, dann versucht es – auf jeden Fall, denn es ist ein Traumberuf! Das gilt übrigens für alle Sachen: Einfach machen! Und …. unter uns 😉: nicht so viel auf die Eltern hören!


Wir bedanken uns ganz herzlich für dieses Gespräch, Frau Greve!